Die Dummburg
Mit Schauder naht der Wanderer den Trümmern der Dummburg.“ Grausen faßt ihn, wenn ihn in dieser Gegend die Nacht übereilt. Denn, wann die Sonne untergegangen ist, und er betritt den Boden der Burg, so hört er in der Tiefe dumpfes Aechzen und Kettengeklirr. Und um Mitternacht sieht er, im Mondschein, die Geister der Ritter der Vorzeit, welche das Land umher einst beherrschten mit eisernem Scepter. In feierlichem Zuge, steigen zwölf lange, weiße Gestalten aus den Felsentrümmern hervor, tragend einen großen ofnen Sarg, den sie auf der Höhe hinsetzen, und dann verschwinden. Auch bewegen sich oft die Schädel, die hier und da umher liegen unter den Klippen.
Lange Zeit hauseten in der Dummburg Räuber, welche die vorbeiziehenden Reisenden und Kaufleute, die sie auf der Landstraße von Leipzig nach Braunschweig erspähten, erschlugen, und die Schätze der beraubten Kirchen und des umliegenden Landes zusammenhäuften, und in unterirdischen Hölen verwahrten. Tiefe Brunnen waren ausgefüllt mit Erschlagenen; und in dem schrecklichen Burgverlies der Raubburg starben oft Unglückliche den langsamen Hungertod. Lange blieben die Schlupfwinkel der Räuber unentdeckt. Doch endlich traf sie die Rache der verbundenen Fürsten.
Die geraubten Schätze von Gold und Silber und Edelsteinen liegen noch jetzt aufgethürmt in den verschütteten Kellern und Gewölben der Dummburg. Doch nur selten ist es einem Wanderer vergönnt, die hineinführenden Pforten zu finden, wenn er auch hier und da verfallne Eingänge entdeckt. – Geister in Mönchsgestalten, oder auch leibhafte Mönche, steigen hier öfters hinab.
Einst sah’ ein armer Holzhauer, der hinter den Felsentrümmern eine Buche fällen wollte, einen Mönch langsam daher kommen durch den Forst, und verbarg sich hinter dem Baum. Der Mönch ging vorbei, und in die Klippen hinein. Der Holzhauer schlich ihm nach, und sah, daß der Mönch an einer kleinen Pforte stehen blieb, die noch keiner der Dorfbewohner entdeckt hatte. Der Mönch klopfte leise an, und rief: „Thürlein, öfne dich!“ und die Pforte sprang auf. „Thürlein, schließe dich!“ hört’ er rufen, und, es schloß sich die Pforte. Am ganzen Leibe zitternd bezeichnete der Holzhauer den gekrümmten Gang mit Zweigen und über einander gelegten Steinen. Seit der Zeit konnte er nicht schlafen und nicht essen; so ängstete ihn die Neugierde, zu wissen, was in dem Keller sey, zu dem die wunderbare Pforte führte.
Den nächsten Sonnabend fastete er; und mit Sonnenaufgang ging er am Sonntage, mit dem Rosenkranz in der Hand, hin zu den bezeichneten Klippen. Jetzt stand er vor der Pforte, und klappte mit den Zähnen; denn immer dacht’ er einen Geist kommen zu sehen in Mönchsgestalt. Aber, es erschien ihm kein Geist. Zitternd schlich er heran zur Pforte, lauschte lange, und – hörte nichts. Endlich betete er in der Angst seines Herzens zu allen Heiligen und der Jungfrau, und klopfte dann schnell, halb ohne Besinnung, an die Pforte. „Thürlein, öfne dich!“ sprach er mit schwacher, bebender Stimme. Die Pforte sprang auf, und er sahe vor sich einen schmalen dämmernden Gang. Er wankte hinein; und der Gang verlohr sich bald in ein geräumiges, ziemlich helles Gewölbe. „Thürlein, schließe dich!“ sagte er, ohne es zu wollen. Da schloß sich hinter ihm die Pforte.
Nun ging er zitternd vorwärts, und fand große ofne Fässer und Säcke, angefüllt mit alten Thalern und feinen Gulden, und schweren Goldstücken. Auch standen da mehrere Schmuckkästchen voll Juwelen und Perlen; kostbare Monstranzen und geschmückte Heiligenbilder lagen und standen auf silbernen Tischen in den Ecken der Höle. Der Holzhauer bekreuzte und segnete sich, wünschte tausend Meilen sich von dem bezauberten Ort; und konnte doch der Begierde nicht widerstehen, etwas zu nehmen von den ungebrauchten Schätzen, um seine Frau und seine acht Kinder zu kleiden, die lange schon in Lumpen gingen.
Zitternd, und mit zugedrückten Augen, streckte er seine Hand aus nach einem Sack, der zunächst neben ihm stand, und nahm einige Gulden heraus. Er faßte schnell nach seinem Kopfe, und fand ihn noch fest sitzen an seiner Stelle. Schon weniger zitternd, und durch die Augenwimpern blinzend, nahm er einige Thaler, auch ein Paar Hände voll von den kleinen glänzenden Blechmünzen, und wankte sich bekreuzend der Thür wieder zu.
„Komm wieder!“ rief ihm eine dumpfe Stimme aus der Tiefe der Höle. Kaum vermocht’ er, da rings um ihn alles im Kreise sich drehte, das: „Thürlein, öfne dich!“ zu stammeln. Da sprang die Pforte auf. Fröhlicher und lauter rief er: „Thürlein, schließe dich!“ und es schloß sich die Thür.
Er eilte nach Hause, so schnell ihn seine Füße tragen wollten; sagte aber nichts von den gefundenen Schätzen, ging dann in die Klosterkirche, und opferte zwei Zehntheile von allem, was er genommen hatte in der Höle, für die Kirche und die Armen. Den folgenden Tag ging er zur Stadt, und kaufte seiner Frau und seinen Kindern einige Kleidungsstücke, die sie sehr bedurften. Er habe, sagte er, einen verwitterten alten Thaler und ein Paar Gulden unter den Wurzeln der Buche gefunden, die er fällte.
Den folgenden Sonntag ging er mit festerem Schritt hin zu der Pforte in den Klippen, machte es wie das erstemal, und füllte mehr, doch mäßig und bescheiden, seine Taschen. – „Komm wieder!“ rief ihm die dumpfe Stimme. Und er kam den dritten Sonntag wieder, und füllte seine Taschen wie vorher.
Jetzt war er in seinen Augen ein reicher Mann. Aber, was sollte er machen mit seinem Reichthum? Er gab der Kirche und den Armen zwei Zehntheile von allem, was er hatte; und das andre wollte er in seinem Keller vergraben, um, von Zeit zu Zeit, nach dem Bedürfniß seines Hauses, etwas zu holen. Doch konnte er der Begierde nicht widerstehen, sein Geld vorher zu messen; denn, Geld zu zählen, hatte er nimmer gelernt.
Er ging zu seinem Nachbar, einem reichen, reichen Mann, der aber hungerte bei seinem Reichthum, der mit Korn wucherte, den Arbeitern den Lohn entzog, Witwen und Waisen das Ihrige abdrang, auf Pfänder lieh, und, keine Kinder hatte. Von diesem borgte er eine Metze, maß sein Geld, vergrub es, und trug die Metze zurück.
Aber, die Metze hatte große Spalten, durch welche der Kornwucherer, beim Verkauf an arme Handarbeiter, durch Schütteln und Schlagen, immer einige Körner wieder auf seinen Haufen zurückfallen ließ. In einer dieser Spalten waren einige kleine Blechmünzen zurück geblieben, die der Holzhauer beim Ausschütteln des Geldes nicht bemerkte.
Doch, den Falkenaugen des reichen Nachbars entgingen sie nicht. Er suchte den Holzhauer im Walde auf, und fragte ihn, was er gemessen habe mit der Metze? „Holzsaamen, Hamsterkorn und dergleichen“ antwortete dieser stotternd. Aber mit Kopfschütteln zeigte ihm der Wucherer die Blechmünzen, drohte ihm mit den Gerichten und der Folter, und dann versprach er ihm wieder alles, was er sich nur wünschen konnte. Und so preßte er ihm nach und nach das geahndete Geheimniß ab, und lernte von ihm die furchtbaren Worte.
Die ganze Woche hindurch machte nun der reiche Wucherer Entwürfe, wie er mit einemmale alle Schätze herausschaffe aus der Höle, und auch die, welche in Nebenhölen noch etwa verborgen seyn könnten, und unter der Erde vergraben seyn dürften. Hätte er alles dies Geld wohl beigescharrt, dann berechnete er schon zum voraus, wie er, nach und nach, einen Morgen Acker nach dem andern, eine Hufe nach der andern, seinen Nachbaren wohlfeil abkaufen, oder abklagen und abschwören wollte. So dachte er Herr von dem ganzen Dorf und vielleicht von mehreren benachbarten Dörfern zu werden, sich dann vom Kaiser adeln zu lassen, und als Raubritter die ganze Gegend sich steuerbar zu machen.
Dem Holzhauer gefiel es nicht, daß sein böser Nachbar zur Burg gehen wollte. Er bat ihn, abzustehen von seinem Vorhaben, stellte ihm die Gefahr vor, erzählte ihm hundert Beispiele von unglücklich gewordenen Schatzgräbern. Aber, wer hält einen Geizhals von einem offnen Sack voll Goldstücke zurück ?
Durch Drohungen und Bitten wurde der Holzhauer endlich beredet, einmal nur noch mitzugehen zu der Pforte; er sollte die Säcke, die der Wucherer selbst alle herausschleppen wollte, nur im Empfang nehmen und im Gebüsch verstecken. Dafür sollte er die Hälfte haben von allem, und die Kirche den Zehnten; auch sollten alle Arme des Dorfs neu gekleidet werden. So sprach der Geizige. In seinem Herzen aber hatte er beschlossen, den Holzhauer, wenn er seiner Hülfe nicht mehr bedürfte, in den tiefen Brunnen auf der Burg hinunter zu stürzen, den Armen nichts, und der Kirche einige Blechmünzen zu geben, wozu er im Geist schon die leichtesten aussuchte.
Den nächsten Sonntag ging der Geizige noch vor Aufgang der Sonne, mit dem Holzhauer in die Klippen der Dummburg. Auf seiner Schulter trug er einen großen Dreischeffelsack, in dem zwanzig etwas kleinere steckten, und einen Spaden und eine große Hacke. Der Holzhauer warnte ihn noch einmal ernstlich vor Habsucht, aber vergebens, empfahl ihm das Gebet zu den Heiligen, aber umsonst. In sich fluchend und zähneknirschend ging der Geizhals vor sich hin.
Nun kamen sie zu der Pforte. Der Holzhauer, dem nicht wohl war bei der Sache, den aber die Furcht vor der Folter zurückhielt, blieb in einiger Entfernung stehen, um die Säcke im Empfang zu nehmen.
„Thürlein, öffne dich!“ rief hastig und vor Gier zitternd, der Kornwucherer. Da öffnete sich die Pforte und er ging hinein. „Thürlein, schließe dich!“ Die Pforte schloß sich hinter ihm.
Kaum war er in dem Gewölbe, und sah’ alle die Fässer und Säcke und Kasten voll Gold und edeln Steinen und Perlen und blinkendem Gelde, so verschlang er alles mit den Augen, und riß mit bebender Hand die zwanzig Säcke aus dem großen Sack heraus, und wollte hastig sie füllen.
Da kam aus der Tiefe der Höle, langsamen Schritts, ein großer schwarzer Hund mit feurigen funkelnden Augen, und legte sich wechselnd auf jeden gefüllten Sack und auf alle das Geld.
„Fort mit dir, du Geizhals!“ so grinzte der große schwarze Hund ihn an. Bebend fiel er zur Erde, und kroch auf Händen und Füssen der Thür zu. Aber, in der Angst seines Herzens, vergaß er das: „Thürlein, öffne dich!“ rief einmal über das andre: „Thürlein, schließe dich!“ und die Pforte blieb verschlossen.
Lange harrte sein der Holzhauer mit pochendem Herzen. Endlich nahte er sich der Thür. Da schiens ihm, als hörte er Aechzen und Winseln und ein dumpfes Hundegeheul – und dann war es plötzlich wieder still.
Jetzt hörte er das Läuten zur Messe in dem Kloster. Er betete seinen Rosenkranz; dann pochte er leise an die Pforte. „Thürlein, öffne dich!“ Es öffnete sich die Pforte; aber – o Jammer! da lag der blutende Körper seines bösen Nachbars ausgestreckt auf seinen Säcken, und die Fässer und Kasten voll Gold und Silber und Diamanten und Perlen sanken vor seinen Augen immer tiefer und tiefer in die Erde!
Quelle: Nachtigal, Johann Karl Christoph - Volcks-Sagen. | Bremen, 1800 | S. 225-238